Zwei Tage vor der diesjährigen International Restorative Justice Week (#RJWEEK) veranstaltet das TOA-Servicebüro des DBH e. V. einen Fachtag. Kooperationspartner ist der Verein Hilfe für Selbsthilfe, der wie das TOA-Servicebüro in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert. Die Onlineveranstaltung findet über die datenschutzkonforme Videokonferenzplattform BigBlueButton des DBH e. V. statt.
Thema
Es gibt tiefe Wunden, die heilen am besten, wenn man über sie spricht. Es gibt Fragen, die einem nur Menschen beantworten können, denen man am liebsten niemals begegnet wäre. Es gibt schmerzhafte zwischenmenschliche Verbindungen, die sich erst trennen oder verändern lassen, sobald man sie (wieder-) hergestellt hat. Angebote einer Restorative Justice ermöglichen für solche Begegnungen und Dialoge einen fachgerechten und sicheren Raum. Besonders bei schweren Verletzungen können sich diese Begegnungen lebensverändernd auf die Beteiligten auswirken. Oftmals können Harmonie und Sicherheit zurückgewonnen werden.
In den letzten fünf bis zehn Jahren haben sich einige internationale Studien besonders mit dem Potenzial von Restorative Justice in Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt auseinandergesetzt. Es konnte festgestellt werden, dass die Vermittlungspraxis einen empowernden Rahmen schaffen kann, um die Bedürfnisse der Betroffenen und Überlebenden wesentlich besser berücksichtigen und erfüllen zu können, als dies mit klassischen strafrechtlichen Verfahrensweisen und punitiven Reaktionen möglich wäre.1
Für Laien und sogar für einige Fachkräfte scheint Restorative Justice in Fällen sexualisierter Gewalt jedoch zunächst unvorstellbar zu sein. Die Angst vor einer erneuten Viktimisierung der Betroffenen und einer Verfestigung des Machtgefälles scheint zu groß. Es wird befürchtet, dass familiäre und sexualisierte Gewalt damit wieder zur ‚Privatsache‘ und die – in der Regel nur im Fokus stehenden – männlichen Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten.
Wie es gelingen kann?
Im Rahmen dieses Fachtags laden wir Menschen ein, die andere, bestärkende Erfahrungen gemacht haben. Neben solchen eindrucksvollen und inspirierenden persönlichen Geschichten, geht es um die fachliche Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und möglichen Stolpersteinen, um für die Beteiligten einen fachgerechten und sicheren Raum schaffen zu können. Wie eine restorative Begegnung in der Praxis aussehen kann, zeigt der Film „The Meeting“, in dem ein auf einer wahren Begebenheit basierendes Vermittlungsgespräch dargestellt wird. Im Rahmen von weiteren Panels werden u. a. kollektive Handlungsansätze einer Transformative Justice sowie konkrete community-bezogene Unterstützungsangebote für Haftentlasse vorgestellt und diskutiert. In einem weiteren Panel werden außerdem österreichische Herangehensweisen und Erfahrungen mit dem Tatausgleich speziell bei partnerschaftlicher Gewalt vorgestellt.
Zielgruppe
Der Fachtag richtet sich an alle Menschen, die sich aus beruflichen oder privaten Gründen für aktuelle Entwicklungen, Chancen und Anknüpfungspunkte einer Restorative Justice (Übersetzungsvorschlag: ‚Heilende Gerechtigkeit‘) speziell in Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt interessieren: Konfliktvermittler:innen (in Strafsachen), Fachkräfte aus der Opfer- und Täter:innenhilfe, Jurist:innen, Psycholog:innen, Therapeut:innen, Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe, Theolog:innen, Lehrer:innen, Studierende, Betroffene u.v.m.
Programm
Freitag, 18. November 2022
08:30 Uhr Check-In
09:00 Uhr Grußworte und Einführung in die Veranstaltung
09:20 Uhr Eröffnungsvortrag:
„Feministische Sexualgewaltsdebatten – Erweiterungen aus
diskursanalytischer und materialistischer Perspektive“
Dr. Jenny Künkel
Technische Universität Dresden
10:30 Uhr Kaffee- und Erfrischungspause
11:00 Uhr Plenarinterview:
„Sich voneinander befreien“ –
Was es für Betroffene sexualisierter Gewalt bedeuten kann, miteinander zu sprechen (Englisch)
Thordis Elva
Autorin und Aktivistin für die Gleichstellung der Geschlechter, Island
12:15 Uhr Mittagspause
13:15 Uhr Panels:
A:
Kollektive Verantwortungsübernahme und Transformative Gerechtigkeit bei zwischenmenschlicher Gewalt
Karl, Lotti und Camille
Ignite! Kollektiv, Berlin
B:
Circles of Support and Accountability (COSA): Ehrenamtliche unterstützen Sexualstraftäter bei der sozialen Wiedereingliederung
Dr. Mechtild Höing
Avans University of Applied Sciences, Breda (Niederlande)
C:
Tatausgleich bei partnerschaftlicher Gewalt – Erfahrungen in Österreich
Bernd Glaeser
NEUSTART, Wien (Österreich)
D:
Filmvorführung: The Meeting (Englisch)
Parzivial Productions, Galway (Irland)
Danach: Kaffee- und Erfrischungspause
15:15 Uhr Plenargespräch:
Von #metoo, einem ungewöhnlichen Täter-Opfer-Ausgleich und dem Coaching von Überlebenden sexualisierter Gewalt
Mai Nguyen
Traumacoach, Podcasterin und Survivor-Queen, Heidelberg
16:15 Uhr Reflexion und Erörterung im Plenum:
Was bedeutet das für die Vermittlungspraxis?
16:55 Uhr Ausblick
17:00 Uhr Veranstaltungsende
Technische Anforderungen und Hinweise
Zur Teilnahme an der Veranstaltung benötigen Sie neben einem Computer mit einer stabilen Internetverbindung (Empfehlung: LAN-Kabelnutzung), eines aktuellen Browsers wie Mozilla Firefox, Google Chrome oder Microsoft Edge (bei einer Verwendung von Safari kann es zu Störungen kommen!), eine Videokamera und ein Headset. Um technische Schwierigkeiten zu vermeiden, wird empfohlen, an der Veranstaltung von zu Hause mit privaten Endgeräten teilzunehmen. Bitte beachten Sie kurz vor der Veranstaltung darauf, dass Sie die aktuelle Version Ihres Internetbrowsers mit den vorgegebenen Standardeinstellungen verwenden (z. B. keine Pop-up-Blocker etc.). Bitte lesen Sie sich auch die folgenden Hinweise zu unseren Onlineveranstaltungen aufmerksam durch und testen Sie Ihre Internetverbindung:
www.toa-servicebuero.de/fortbildung/seminare (rechter Block).
Kosten
Die Teilnahmegebühr beläuft sich auf 50,00 €. Eine verbindliche Veranstaltungsanmeldung ist bis spätestens zum 16. November 2022 über die Website des TOA-Servicebüros möglich: www.toa-servicebuero.de/rjfachtag2022. Am Ende der Veranstaltung erhalten Sie eine Teilnahmebescheinigung.
Veranstalter
Auf Beschluss von Bundestag und Bundesregierung wurde das Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung (TOA-Servicebüro) des DBH e. V. 1992 als überregionale Zentralstelle zur Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs eingerichtet.
Das TOA-Servicebüro steht für die vermehrte, fachgerechte und deutschlandweite Anwendung der Mediation in Strafsachen und anderen Konfliktvermittlungspraktiken im Sinne einer Restorative Justice. Dabei bedeutet vermehrt eine bundesweit flächendeckende Anwendung in allen geeigneten Fällen. Fachgerecht bedeutet Mindeststandards für die Vermittlungsarbeit festzulegen, Mitarbeiter:innen der Einrichtungen entsprechend auszubilden, die Vermittlungspraxis zu überprüfen und weiterzuentwickeln sowie die Verbindung zur außerhalb des Strafrechts agierenden Konfliktvermittlung zu vertiefen.
Kooperationspartnerin
Der Verein Hilfe zur Selbsthilfe e. V. wurde 1992 auf Initiative eines Bewährungshelfers in Aschaffenburg gegründet. Die Idee ‚Täter-Opfer-Ausgleich‘ war damals bereits aus den USA bekannt und es entstanden in Deutschland erste Fachstellen.
Unterstützt vom TOA-Servicebüro konnte so in Aschaffenburg eine von Strafinstitutionen unabhängige Stelle geschaffen werden, die es den Betroffenen und Verantwortlichen von Straftaten ermöglicht, den durch die Tat entstandenen Konflikt zu klären.
Begleitet werden sie dabei von drei Vermittler:innen in Teilzeit. Inzwischen werden pro Jahr rund 100 Fälle aus dem Erwachsenen- und Jugendbereich bearbeitet. Zuständig ist Hilfe zur Selbsthilfe e. V. für den gesamten Gerichtsbezirk Aschaffenburg-Miltenberg.
Stornierungsbedingungen
Der Rücktritt hat in Textform (per E-Mail, Brief oder Telefax) zu erfolgen und ist bis zum Anmeldeschluss kostenlos möglich. Bei einem späteren Rücktritt bis zum Veranstaltungsvortag (Werktag) wird eine Ausfallgebühr in Höhe von 50 % der Teilnahmegebühr berechnet. Bei Absage am Veranstaltungstag sind die Gesamtkosten zu zahlen. Aus anderen Gründen, z. B. ein Wechsel des/der Dozent:in oder eigene Erkrankung, ist ein Rücktritt nicht möglich. Nichterscheinen von Teilnehmer:innen gilt nicht als Rücktritt. In diesem Fall sind die Gesamtkosten zu tragen.
(1) Siehe z. B. die Arbeiten von Kathleen Daly (2022: Remaking justice after sexual violence. Essays in conventional, restorative, and innovative justice. Den Haag), Angela Marinari (2021: Restorative Justice For Survivors of Sexual Abuse. Bristol), Estelle Zinsstag und Marie Keenan (2019: Restorative Responses to Sexual Violence. Legal, Social and Therapeutic Dimensions. London).