Köln, Juli 2019
Stellungnahme des Servicebüros für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung des DBH e. V. (TOA-Servicebüro)
zur Aufbereitung des Täter-Opfer-Ausgleichs in der Folge „Das Geisterschiff“ der Kriminalfilmreihe „Der Usedom-Krimi“
Über das TOA-Servicebüro des DBH e. V.
Auf Beschluss von Bundestag und Bundesregierung wurde das TOA-Servicebüro 1992 als überregionale Zentralstelle zur Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs (TOA) eingerichtet. Es ist eine Einrichtung des DBH e. V. – Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik – und wird zum Großteil aus Mitteln des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz gefördert.
Das TOA-Servicebüro steht für die vermehrte, fachgerechte Anwendung des TOA in Deutschland. Dabei bedeutet vermehrt, eine bundesweit flächendeckende Anwendung in allen geeigneten Fällen. Fachgerecht bedeutet, Mindeststandards für die Ausgleichsarbeit festzulegen, Mitarbeiter*innen der Einrichtungen entsprechend auszubilden, die Ausgleichspraxis zu überprüfen und weiterzuentwickeln sowie die Verbindung zur außerhalb des Strafrechts agierenden Konfliktvermittlung zu vertiefen.
Täter-Opfer-Ausgleich in „Das Geisterschiff“
Am 7. Februar 2019 wurde die 7. Folge der Kriminalfilmreihe „Der Usedom-Krimi“ („Das Geisterschiff“) von Tim Gehrke in Das Erste ausgestrahlt (in der ARD-Mediathek bis: 29.07.2019). In den Vorankündigungen des Films wurde der TOA, organisiert durch Ex-Staatsanwältin Karin Lossow, als ein zentrales Element des Handlungsstrangs beschrieben. Im Film wird der TOA speziell innerhalb von drei Szenen aufbereitet und thematisiert:
Szene 1
Infolge eines Einbruchdiebstahls des bereits wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getretenen Jens Kampwirth, erleidet die davon betroffene Hermine Daberkow einen Herzinfarkt. Die ehemalige Staatsanwältin Karin Lossow regt zwischen den beiden einen TOA an. Auf dem privaten Hof der Ex-Staatsanwältin spricht sie mit der Tatbetroffenen über das Angebot. Die ebenfalls auf dem Hof wohnhafte Kriminalhauptkommissarin Rike Lylloff stößt zufällig dazu und erfährt auf ihr Nachfragen von der Betroffenen, dass sie und Lossow den TOA ‚machen würden‘.
Szene 2
Lossow sucht den Tatverantwortlichen am Hafen auf, um mit ihm über die Bereitschaft der Tatbetroffenen an einem TOA zu sprechen. Sie diktiert ihm die von ihm zu erbringenden Wiedergutmachungsleistungen als Alternative zur Inhaftierung; als Grund für ihre ‚Vermittlungsbemühungen‘ benennt sie ihr Mitleid mit seiner Schwester:
„Du wirst regelmäßig für sie einkaufen, du wirst im Winter für sie Schnee schippen, du wirst überhaupt immer für sie da sein, wenn sie dich braucht. Tag und Nacht. Wie der Geist aus der Flasche. Alternativ kannst du natürlich auch in den Knast gehen. Hör mal zu mein Junge, ich mach das Ganze hier nicht für dich. Ich mach das für deine Schwester, die tut mir nämlich leid. Du nicht.“
Szene 3
Ohne Termin sucht Lossow das Büro des zuständigen Staatsanwalts Dr. Dirk Brunner auf und teilt ihm das Ergebnis ihrer sogenannten Vermittlung mit. Der Staatsanwalt wolle über die Bewertung des TOA im Fall des „Intensivtäters Kampwirth“ nachdenken und ihr das Ergebnis seiner Überlegungen mitteilen.
Täter-Opfer-Ausgleich in Theorie und Praxis
Der TOA ist ein im Strafrecht geregeltes Angebot an die Betroffenen und Verantwortlichen von Straftaten (insb. §46 a StGB, §§ 153a, 155b, 155a, 406i StPO), den durch die Straftat entstandenen Konflikt – unabhängig von der Schwere der Tat – selbstbestimmt zu klären. Dies ist auch mithilfe von allparteilichen Vermittler*innen möglich.
In Deutschland gibt es ca. 350 bis 400 Fachstellen für Täter-Opfer-Ausgleich, in denen – vorzugsweise in Mediation in Strafsachen – ausgebildete Konfliktvermittler*innen hauptamtlich tätig sind. Vereinzelt werden die hauptamtlichen Mediator*innen durch ebenfalls ausgebildete Ehrenamtler*innen in der Fallarbeit unterstützt.
Die Vermittler*innen tragen die Verantwortung für die Schaffung eines sicheren Rahmens, in dem gewaltfreie Kommunikation garantiert und eine größtmögliche Teilhabe der Beteiligten an der Auseinandersetzung mit der Straftat und ihren Folgen erreicht werden kann. Im Mittelpunkt des gesamten Vorbereitungs- und Ausgleichsprozesses stehen somit die Beteiligten selbst: ihre Selbstbestimmung, ihre Bedürfnisse, ihre Verantwortlichkeiten und ihre Wiedergutmachungswünsche bzw. Wiedergutmachungsmöglichkeiten.
Nach Abschluss der Vermittlung erfolgt vonseiten der TOA-Fachstelle ein schriftlicher Bericht an Staatsanwaltschaft und ggf. Gericht: „Dieser Bericht fasst ausschließlich den Verlauf und das Ergebnis der Mediation zusammen und spiegelt die Wünsche der Betroffenen wider“ (TOA-Servicebüro & BAG TOA 2017: Standards Mediation in Strafsachen im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs, S. 31). Das Gericht kann in der Folge die Strafe mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen.
(Inter-)nationale Studien belegen die vielfältige positive Wirkung eines solchen Angebots sowohl für Tatbetroffene als auch für Tatverantwortliche, da diese – anders als im Strafverfahren – eine aktive, selbstbestimmte Rolle wahrnehmen können. Jedoch kann nur durch Freiwilligkeit und Zustimmung, Sicherheit und Vertraulichkeit, Transparenz und einem respektvollen Miteinander ein sicherer Rahmen geschaffen werden, der die beteiligten Personen (inklusive ihrer Rechte) schützt und erneute Viktimisierung aufseiten der Tatbetroffenen vermeidet. Gelingt dies, können die Beteiligten Hintergründe erklären, Bedürfnisse und Folgen verdeutlichen, Fragen stellen, Erklärungen bieten, Ängste abbauen, Verantwortung übernehmen, Entschuldigungen hören bzw. teilen und Wiedergutmachung erfahren bzw. leisten. Vermittlung im Rahmen des TOA ist somit „eine anspruchsvolle und verantwortungsvolle Tätigkeit […], die einen sensiblen Umgang mit den betroffenen Menschen“ (ebd., S. 20) erfordert.
Schätzungsweise werden im Erwachsenen- und Jugendbereich jährlich insgesamt 20.000 bis 30.000 Fälle von TOA-Fachstellen bearbeitet. Die relativ geringe Anwendung des TOA korreliert insbesondere mit einem geringen Bekanntheitsgrad und falschen Vorstellungen eines solchen Angebots. Diese Problematik wird insbesondere durch falsche Darstellungen des TOA in den Medien verstärkt. Die Aufbereitung des TOA in „Das Geisterschiff“ entspricht einer solch falschen Darstellung, die nicht gegensätzlicher zur Philosophie, den Werten und der Praxis einer Konfliktvermittlung in Strafsachen sein könnte, deren Ruf schädigt und eine weitere Etablierung im Sinne der Betroffenen erschwert.
Aus fachlicher Sicht sind die zwei größten Kritikpunkte:
Der Hauptfigur Lossow sind die Grundsätze von Konfliktvermittlung in Strafsachen und gewaltfreier Kommunikation nicht vertraut. Sie agiert parteilich, ehrenamtlich und offensichtlich ohne Einbindung in ein professionelles Team von Hautamtlichen. Sie ist in den Gesprächen mit den Beteiligten sehr dominant, teilweise sogar provokant und aggressiv. Die Gespräche finden ‚zwischen Tür und Angel‘ auf privatem Gelände statt.
Konfliktvermittler*innen handeln stets allparteilich – sie übernehmen keine parteinehmende Betreuung. Sie sind dafür verantwortlich, dass zu jedem Zeitpunkt ein respektvoller Umgang mit allen Konfliktbeteiligten gewährleistet wird und sie sich gerecht behandelt fühlen – auf Betroffenen- wie auf Verantwortlichenseite. Ebenso müssen sie sich in ihrer Arbeit ihren persönlichen und professionellen Grenzen bewusst sein (ebd., S. 23) und dürfen keine Fälle annehmen, in die sie persönlich oder emotional involviert sind.
Allem voran haben die Vermittler*innen – neben der Gewährleistung ihrer Allparteilichkeit – für einen geschützten Rahmen zu sorgen, in dem die Gespräche mit den Beteiligten im Sinne eines gewaltfreien, professionell geführten Dialogs stattfinden können. Dies bedeutet beispielsweise, dass Büros und Räumlichkeiten vorhanden sind, „die ungestörte Gespräche sowohl mit geschädigten und tatverantwortlichen Personen ermöglichen“ (ebd., S. 15).
Lossow bietet keine Möglichkeit zum direkten Austausch und Dialog zwischen den Beteiligten an. Außerdem gibt sie die Wiedergutmachungsleistungen vor und droht dem Tatverantwortlichen mit einer Gefängnisstrafe, wenn er diese nicht erfüllt.
Bei einer Konfliktvermittlung im Täter-Opfer-Ausgleich soll Folgendes erreicht werden:
Um dies zu ermöglichen, ist ein Kernelement des TOA, dass die Beteiligten im direkten Kontakt die Möglichkeit erhalten, „selbstbestimmt und eigenverantwortlich an der Regulierung der Tatfolgen teilzuhaben“ (ebd., S. 8).
Implikationen
Es ist bekannt, dass das Fernsehformat „Der Usedom-Krimi“ primär der Unterhaltung der Zuschauer*innen dienen soll. Gleichzeitig hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen Bildungsauftrag, der eine gründliche Recherche über den TOA und eine realistischere Abbildung dieses alternativen Umgangs mit Straftaten impliziert.
Als Film zur besten Sendezeit erreichte „Das Geisterschiff“ sicherlich hohe Einschaltquoten. Durch die dortige polemische Darstellung des TOA werden Menschen abgeschreckt, für die das Angebot – bei einer adäquaten Information – eine sehr wertvolle Alternative oder Ergänzung zur strafrechtlichen Auseinandersetzung mit der Tat gewesen sein könnte. Mehr noch, „Das Geisterschiff“ fördert einen populistischen Diskurs über Wiedergutmachung als Strafe und stellt Konfliktvermittlung im TOA als unprofessionelle, distanzlose und bevormundende Tätigkeit dar, die aktuell ‚en vogue‘ sei. Dies wird der TOA-Praxis und insbesondere der Arbeit der professionell agierenden TOA-Praktiker*innen nicht ansatzweise gerecht.
Aus Sicht des TOA-Servicebüros benötigt es besonders in den Medien realistische, anschauliche Zugänge zur Thematik, damit sich Menschen tatsächlich ein Bild vom TOA machen und ihn als freiwilliges Angebot begreifen können.
Nachtrag vom 30.07.2019 in Bezug auf "Professionalität und Rolle der Vermittlerin":
Die Stellungnahme beabsichtigt keine grundsätzliche Kritik an ehrenamtlicher Vermittlung im Täter-Opfer-Ausgleich - bei Weitem nicht. Ehrenamtliche Konfliktvermittler*innen sind eine unschätzbar wichtige Ressource in der Restorative Justice bzw. im Täter-Opfer-Ausgleich. Die Kritik an der Darstellung der ehrenamtlichen Konfliktvermittlung in "Das Geisterschiff" ist vielmehr, dass sie als 'unprofessionell' dargestellt wird und die Konfliktvermittlerin nicht erkennbar in ein professionelles Team von Hauptamtlichen eingebunden ist.