Im Themenschwerpunkt dieser Ausgabe fassen wir ein ‚heißes‘ Eisen an: Restorative Justice (RJ) im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt. Für viele ein Tabu. Denn ‚Vergewaltigung‘ gilt als „Seelenmord“ (Sanyal 2016: 79) – ein „Schicksal“, das bereits im antiken Rom als schlimmer „als der Tod“ (Sanyal 2016: 57) gewertet wurde. Entsprechend hart sollen die strafrechtlichen Konsequenzen für die Tatverantwortlichen ausfallen. ‚Sexualverbrecher‘ werden heutzutage im öffentlichen Diskurs als ‚gefährliche andere‘ betrachtet, denen das ,Bürgerdasein‘ als gesellschaftlicher Status abzusprechen sei und denen folglich kein Mitgefühl entgegengebracht werden dürfe. Für die Sicherheit der Gesellschaft würden sie eine große Bedrohung darstellen und müssten im Sinne der sozialen Verteidigung mit härtesten Mitteln unschädlich gemacht werden (vgl. Garland 2008: 329-330).
Mit einer formellen und informellen Etikettierung als ‚Vergewaltiger‘ ist somit eine „rituelle Vernichtung der beklagten Person“ (Garfinkel 2016: 142) verbunden. Jemand, der vergewaltigt hat, wird häufig auf diese Tat reduziert – ein kaum veränderbarer ‚Masterstatus‘ mit der Garantie für eine nachhaltige soziale Ächtung. Doch schaffen wir mit Strafe, Ausgrenzung und ‚Entmenschlichung‘ mehr Sicherheit? Fördern Strafe und Stigmatisierung die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Tatfolgen sowie zu einer aktiven Verantwortungsübernahme und ‚Wiedergutmachung‘? Und fördert der justizielle Umgang mit der Tat und dem Erlebten, tatsächlich die Heilung der Verletzungen der Betroffenen? Wieso werden viele Betroffene auf ihre ‚Opferwerdung‘ reduziert? Wieso gibt es selbst heute keine „Modelle, die Frauen darin bestärken, ihr Leben weiterzuleben, anstatt es einfach nur durchzustehen“? (Veselka zit. nach Sanyal 2016: 86)
Mpho und Desmond Tutu (2014: 83) schreiben, dass die einfachste Weise, „eigene Würde und Stärke zurück[zuerlangen darin bestehen könne], wenn man vor den Schuldigen tritt, die Wahrheit offen ausspricht und erzählt, was diese Person angerichtet hat“. Angebote der RJ schaffen genau hierfür ei-nen Raum und können einen Beitrag zur Bildung sicherer sozialer Gemeinschaften leisten. Und zwar, weil sie zunächst die Bedürfnisse der Betroffenen ins Zentrum stellen. Weil sie dabei helfen, die Taten und die Tatverantwortlichen zu verstehen. Und weil sie auf beiden Seiten unterstützende soziale Ressourcen freilegen können. Aber ist es so einfach, wie es klingt? Nein, mit RJ sind nicht nur Chancen, sondern durchaus auch Stolpersteine verbunden. Der Diskurs erfordert Differenzierungen und Achtsamkeit. Für unsere Redaktion bedeutete es, uns dieses Mal auf die Suche nach Antworten auf die folgenden Fragen zu machen: Was ist ‚Vergewaltigung‘? Und warum ist es so schwierig, damit einen vernünftigen, heilsamen und transformativen Umgang zu finden? Welchen Beitrag kann RJ in Bezug auf Sexualstraftäter*innen leisten? Was für Forschungsergebnisse zu ersten Erfahrungen mit RJ liegen hierzu vor? Welche grundlegenden Überlegungen und Bedenken gibt es aus einer feministischen Sicht? Was ist notwendig, damit eine RJ tatsächlich gesellschaftliche Machtverhältnisse – die im Hinblick auf sexualisierter Gewalt eine bedeutsame Rolle spielen – verändern bzw. transformieren kann?
Über den Themenschwerpunkt hinaus, aber auch in diesem Kontext wertvoll, legt der Einzelbeitrag von Ann-Sophie Maluck und Nina Niesen („Justice als Empowerment“) den Finger in die Wunde, die RJ im Gesamten hart trifft: Wie soll RJ gesamtgesellschaftlich – und somit eben auch bei ‚schwe-ren' Straftaten – jemals mehr Relevanz erhalten, solange die „Identität von RJ durch die Institutionen gezeichnet wird, die sie anfechten oder reformieren will“? (S. 48)
Bevor Sie mit der Lektüre beginnen und Ihnen Antwortmöglichkeiten auf all die hier gestellten Fragen begegnen, möchten wir Ihnen noch für Ihre rege Teilnahme an unserer Leser*innen-Umfrage Ende 2018 danken. Auf der Grundlage Ihrer Rückmeldungen und Anregungen, haben wir uns für einen Relaunch des Magazins entschieden. Eine Auswertung der Umfrageergebnisse finden Sie auf den Seiten 44-45. So viel sei bereits vorab verraten: Neben einem neuen Look haben wir das Heft auch um eine neue Rubrik erweitert. Unter „Nachfragt“ werden wir zukünftig Ihre Themen und Fragen aus der Praxis aufgreifen und andere Praktiker*innen aus dem TOA dazu einladen, ihre Erfahrungen und Einschätzungen zu schildern. In dieser Ausgabe geht es um Überlegungen zu Möglichkeiten der Finanzierung von Übersetzungsleistungen im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs.
Literatur:
• Garfinkel, H. (2016): Bedingungen für den Erfolg von Degradierungszere-monien. In: D. Klimke/A. Legnaro (Hrsg.): Kriminologische Grundlagentexte. Wiesbaden. S. 139–148.
• Garland, D. (2008): Kultur der Kontrolle. Verbrechensbekämpfung und soziale Ordnung in der Gegenwart. Frankfurt am Main/New York.
• Sanyal, M. M. (2016): Vergewaltigung. 2. Aufl. Hamburg.
• Tutu, M./Tutu, D. (2014) Das Buch des Vergebens. Wie Opfer und Täter
einander verzeihen. Berlin.